Ausgrabung: Haferwisch

Lage der Wurt Haferwisch

Etwa 2 km westlich der Sied­lungsreihe Tiebensee-Wenne­mannswisch liegt die Wurt Haferwisch, welche die nördlichste einer sich in südli­cher Richtung über Poppen­wurth, Edemanns­wisch, Neuen­wisch bis Wöhrden fortsetzenden Kette einzel­ner Wurten bildet, von denen Funde der römischen Kaiserzeit bekannt sind. Die in nord-südli­cher Richtung etwa 140 m lange und in west-öst­licher Richtung etwa 110 m breite, für eine Ausgrabung 1992/93 ausgesuchte Wurt weist an der höchsten Stelle eine Höhe von NN +2,20 m auf und fällt nach allen Seiten hin flach ab, wobei die Kuppe durch ständiges Überpflügen verebnet ist.

Während der römischen Kaiserzeit prägten Salzbinsen (Junce­tum gerardii) und andere salzliebenden Pflanzen die hier mit NN +0,50 m nur niedrige Seemarsch, die nicht ein­mal von sommerlichen Sturmfluten ver­schont blie­b. In der höheren und niederen Salzmarsch weidete das Vieh. Der Anbau von Vierzeil-Spelz­gerste (Ho­r­deum vulgare vul­gare) und Leinen (Linum usitatissimum) dürfte nur zeitweise möglich gewesen sein. Aus den Siedlungsschichten der römischen Kaiserzeit stam­men ferner Nachweise der Rispenhirse (Pa­ni­cum milia­ceum) und des Roggens (Secale cerea­le), die jedoch nicht zeittypisch sind und vermutlich von der Geest hierher ge­lang­ten.

 

Archäologische Befunde von Haferwisch

Der Untergrund der Seemarsch besteht hier aus sandigen bis schluffigen Sedimenten mit Anwachsschichten im oberen Bereich. Den Oberboden hatten die Sied­ler zur Gewin­nung von So­den abge­plaggt. Zur ältesten Siedlungsphase gehören mehrere kleine Wurten. Am Randbereich der etwa 10 m breiten und im Westen infolge jüngerer Bodeneingriffe zerstörten Hof­wurt I verlief eine Reihe eingetiefter Spaltbohlen als Reste eines frühestens um oder nach 140 und spätestens um 168 n. Chr. errichteten Zauns, der beim weiteren Wur­tenausbau abgebrochen und mit Klei überdeckt wurde. Auf der Wurt befand sich ein in west-östlicher Richtung errichtetes, nur noch an Hand einiger Pfostengruben rekonstruierbares Wohnstallhaus, dessen Wohnbereich nach Ausweis zweier Scherbenpflaster auf einem Niveau von NN +1,73 m im Osten lag. Der Westen der Hofwurt war vielleicht infolge späterer Sturmfluten zerstört worden und wurde wohl bei der Neubesiedlung im Hochmittelalter wieder mit Klei aufgetragen. Nahe der Wurt lagen in den Untergrund eingelassene, mit Mist verfüllte Abfallgruben.      Der Wasserversorgung der Hofwurt I diente ein in den Untergrund bis NN -1,50 m eingetiefter viereckiger Schachtbrunnen aus Birkenhölzern. Zu diesem führte ein Was­ser­zu- oder Ablauf, der einen älteren, mit Mist verfüllt­en Be­gren­zungsgraben querte. Mit dem Ausbau zur Gesamtwurt verlor diese Anlage ihre Bedeu­tung.

Die Siedlung des 2./3. Jahrhunderts umgab ein später mit Mist und Klei verfül­lter Graben. Dessen Aushub hatte man zu einem niedrigen Wall aufge­schichtet. In diesen eingetieft fand sich die Deponierung eines Hundes. Das alte Tier, dem bereits einige Zähne fehlten, hatte vor der Niederlegung einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten. Dass Hunde in der römischen Kaiser­zeit zu Opfertie­ren gehört­en, belegen neben Funden von Wurtensiedlungen wie der Feddersen Wierde im Land Wursten auch solche aus dänischen Mooropferfundplätzen. Hunde schüt­zen das Haus und wurden dabei neben Pferden auch rituell deponiert. Weitere Skelette eines Fohlens und eines Schwein­es lagen in den Abfallschichten der Hof­wur­ten in Haferwisch.

Nördlich der Hofwurt I lagen zwei weitere Hofwurten. Diese waren teil­weise nach Ausweis sich kreuzweise überschneidender Pflugspuren eines Ards auf einer alten, von Gräben eingefassten Ackerflur errich­tet worden. Die wölb­ar­tig aufge­worfe­nen Acker- oder Gartenparzellen dieser Zeit wurden mit Mist gedüngt. Neben dem Ard kam in dieser Zeit aber schon der Wendepflug zum Einsatz, wie er aus der Ostermoor in Süderdithmarschen belegt ist. Der Tränkeversorgung für das Vieh der beiden Wurten in Haferwisch diente eine runde, an der Basis mit einer Schilf- oder Stroh­pack­ung ausgek­leide­te Wassergrube. Von dieser führten ein Zu- oder Ablauf zu einer größeren Grube ebenso wie auch zum Rand der Siedlung. Vertrittspuren deuten an, dass hier Vieh getränkt wurde. In der Nähe befand sich eine große Abfallgrube, aus der ein sog. Eddelaker Topf aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts und eine Trichterschale zum Vorschein kamen. Diese Befunde wurden beim weiteren Ausbau der Hofwurten II und III mit Kleiaufträgen überdeckt.

Infolge der Verfüllung der Räume zwischen den Wurten mit Mist und Klei war im 3. Jahrhundert eine Gesamtwurt entstanden, die bis zum 4. Jahrhundert besiedelt blieb. Die jüngeren Wurtschichten, die ehemals eine Höhe von bis zu NN +2,50 m erreicht haben dürften, sind aufgrund der jüngeren Planierung nur schlecht erhalten. In diese Phase gehören aufwendig konstruierte Wasserzisternen. So erfolgte von der zum Wurtrand hin abfal­lenden Siedlungsschicht bei NN +1,80 m die Ein­tie­fung, einer im Durchmess­er bis 3,20 m brei­ten und minde­stens 2 m tiefen, bis in die sandigen Sturmflutschich­ten des Un­tergrundes rei­chende Baugrube für die Errich­tung eines mit Soden eingefassten Trichters zur Speicherung des Regenwassers mit anschließendem Flechtwandbrunnen, der bis zum brackigen Grundwasser reichte. Zum Wasserauffangtrichter führte ein ebenfalls mit Soden ausgelegter und mit Hölzern verfüllter Graben. Dadurch wurde die Wasserzirku­la­tion in Bewegung gehalten, so dass mitgezoge­ne Ton­teile sich nicht ablagern und die Anlage ver­stopften konnten. Stand nicht genügend Regenwasser zur Verfügung, blieb nur das brackige Grundwasser. Nördlich dieser Zisterne befand sich ein zweite­s, kreis­förmi­ges Wasserauffangbecken mit Flechtwandbrunnen. Diese größeren Zisternen dienten vor allem als Trinkwasser für das Vieh, während für die Menschen wohl kleinere Auffangbehälter für Regenwasser Verwendung fanden. Die Wirtschaft der Marschensiedlung war vor allem auf Viehhaltung ausgerichtet, Ackerbau konnte nur während der Sommermonate betrieben werden.

Ebenfalls in diese Siedlungsphase der jüngeren römischen Kaiserzeit gehört eine mit Wandlehm und Brandschutt verfüllte Grube mit Zu- oder Ablaufgraben eines Werkareals, dass sich nun anstelle des auf der Hofwurt I abgebrochenen Wohnstallhauses befand.     

Vermutlich im 4. Jahrhundert n. Chr. wurde die Siedlung vielleicht aufgrund zu häufiger Salzwasserüberschemmungen in der hier nur niedrigen Seemarsch verlassen, eine Wiederinbesitznahme der Wurt erfolgt erst im hohen Mittelalter. Teile einer Hofwurt der römischen Kaiserzeit waren nach Westen hin zerstört und wurden wohl erst mit der mittelalterlichen Neubesiedlung wieder mit Klei ergänzt. In dieser Zeit entstanden neue Pfostenbauten als Bauernhäuser auf der Wurt.

 

Wirtschaft und archäologische Funde

Das Keramikspektrum der Wurtensiedlung umfasst einen Zeitraum von der Mitte des 2. bis an das Ende des 4. Jahr­hun­derts. Über­wiegend waren weit- und engmündige Töp­fe einer groben Gebrauchs­ware in Be­nutzung, da­neben fand sich aber auch verzierte Feinkeramik wie Eddela­ker Töpfe sowie Trich­ter- und Schulterscha­len. Auch Kümpfe sind vertreten. Es sind zwar Gefäße mit Zylin­derhals belegt, nicht jedoch die typolo­gisch in die Zeit um 400 und in das 5. Jahrhun­dert weisenden Doppelkoni. Erwähnswert ist ferner eine Randscher­be einer römischen Terra Sigillata Schüssel (Typ Dragen­dorff 37) aus der zweiten Hälfte des 2. oder dem frühen 3. Jahr­hun­dert n. Chr. Die meiste Terra Sigilla­ta gelangte zwi­schen 170 und 200 n. Chr. in die Germa­nia Libera, wo sie in der Regel während einer Genera­tion in den Boden kam. Der Textilherstellung dienten Spinnwirtel und Webgewichte. Zur Durchbohrung von Rohleder oder zu anderem Ge­brauch fand eine Ahle mit eisernem Dorn und Knochen­schaft  Ver­wen­dung.        

Die Hinweise auf Tracht und Schmuck der Siedler sind spärlich. Belegt ist das Aufsammeln und die Verarbeitung von Roh­bernstein zu Schmuck. Daneben fanden sich Halbfabrikate von Bernsteiper­len. Als Importe gelangten eine gelb-rote, eine grüne und eine blaue Glasperle in die Marsch­en­sied­lung. Ein dreieckiger Dreila­genkamm aus Knochen stammt aus der Zeit der zweiten Hälfte des 2. oder des 3. Jahrhunderts. Eine angespitzte polierte Knochen­nadel diente verschiedenen Zwecken. In Siedlungsfunden werden solche Nadeln zumeist als Haken der Leinen­fischerei ange­sprochen. Auch in den breiteren Prielen des Watts und der Mar­schen mögen die Siedler von Haferwisch mit Que­rangeln gefischt haben. In angel­sächsi­schen Frauengrä­bern sind diese Nadeln eben­falls belegt, gelten hier aber als Bestand­teil der Tracht.  Zur Holzverarbeitung diente in Haferwisch ein Dechsel.

Nach der Analyse der nach Schichten geborgenen Funde weisen die während der ältesten Siedlungsphase errichteten Hofwurten in die zwei­te Hälfte des 2. Jahrhun­derts, während der Ausbau zur größeren Ge­samtwurt und deren weitere Erhöhung das 3. bis 4. Jahrhundert umfasst. Spätestens am Übergang zum 5. Jahr­hundert dürfte die Siedlung aufgegeben worden sein. Verschiedene, im humosen Oberboden oder in Gruben ge­fun­dene Scherben von Kugeltöpfen der harten Grauwa­re, teilweise mit umlauf­ender Rillen- oder Lei­stenverzierung, deuten ebenso wie größere Pfostengruben von Häusern auf eine Wiederbesied­lung der Wurt seit dem Hochmittelalter hin.

 

Weitere Marschsiedlungen der römischen Kaiserzeit in der Dithmarscher Nordermarsch

Südwestlich der in der römischen Kaiserzeit besiedelten Nordermarsch belegt ein weiterer archäologischer Befund aus der gleichen Zeit, dass südwestlich der Dorfwurt Ketelsbüttel die alte Marsch über den hochmittelalterlichen Deichverlauf hinausreichte. So kamen bei Ausschachtungsarbeiten einer 2011 verlegten Kabeltrasse der Tennet im Speicherkoog südlich eines Priels Keramik der römischen Kaiserzeit sowie Knochen von Rind, Schaf und Ziege aus einer ovalen Grube mit Holzresten zu Tage. Die Sohle der Grube lag hier bei NN -0,43 m und war infolge jüngerer Überschwemmungen mit Sedimenten bedeckt. Nach den Nage- und Verbissspuren zu schließen, wiesen die Rinder mit bis zu 1,09 m typische Wideristhöhen dieser Zeit auf. Kalzinierte Knochen und zerplatzter Flint lassen auf Siedlungsaktivitäten schließen. Funde von Gerste und weiteren Siedlungsanzeigern wie Melde, Vogelmiere und Vogelknöterich deuten auf höhere Standorte außerhalb der niederen, häufiger überschwemmten Seemarsch hin.

Weitere Siedlungen der römischen Kaiserzeit befinden sich in der Südermarsch auf einem küstennahen Marschrücken zwischen Meldorf und der Elbemündung sowie auf kleineren Uferwällen an Prielen im ansonsten vermoorten Hinterland. Auch hier reichte die alte Marsch teilweise über den hochmittelalterlichen Deichverlauf hinaus. So kamen 600 m westlich des Deiches etwa 1,5 km südlich der Wurtsiedlung Helse beim Ausschachten einer kleinen Baugrube Scherben der römischen Kaiserzeit zu Tage. Hier lag oberhalb des Wattsandes auf einer Höhe von NN +1,54 m eine 0,30 m mächtige, von Sturmflutablagerungen bedeckte Kulturschicht mit Funden des 2./3. Jahrhunderts n. Chr. Darunter fanden sich neben grober Gebrauchsware Töpfe vom Eddelaker Typ. Die Siedlungsschichten der Flachsiedlung bedeckten Sturmflutablagerungen. Der Bau einer Wurt erfolgte hier nicht. Bei der Anlage einer Gasleitung in der Nähe wurde ebenfalls die alte Marschoberfläche der römischen Kaiserzeit beobachtet, die hier noch mindestens 500 m weiter nach Westen reichte. Die umfangreichsten Erkenntnisse zur Besiedlung der Südermarsch verdanken wir den Ausgrabungen in Süderbusenwurth.