Ausgrabung: Lütjenbüttel

Lütjenbüttel gehört zu den wenigen größeren hochmittelalterlichen Ausbauwurten in der küstennahen Seemarsch Süderdithmarschens südwestlich von Meldorf. Die aus zwei Kuppen bestehende, von einem landwirtschaftlichen Nebenweg durchtrennte Wurt Lütjenbüttel liegt etwa 900 m östlich des teilweise erhaltenen mittelalterlichen Seedeiches und 1 km nordöstlich von Norderbusenwurth. Die im Durchmesser 100 m große Wurt weist an ihrer höchsten Stelle eine Höhe von NN +4,20 m auf und ragt etwa 3 m über der umgebenden Marsch auf. Östlich und südlich dieser Wurt liegen zwei bebaute Hofwurten, zwei weitere im östlichen Hinterland sind überpflügt.

Archäologische Befunde

Ausgehend von den Bohrsondagen erfolgte von Mai bis September 1997 mit Hilfe von 6 Arbeitern, finanziert vom Arbeitsamt Heide und dem Verein für Arbeitsstätten des Kreises Dithmarschen, die Anlage eines 10 m breiten, 20 m langen und bis 3 m tiefen Grabungsschnittes unter Leitung von Dr. Dirk Meier. Die Untersuchungen zeigten, dass die Wurt im 12. Jahrhundert gegründet wurde.

Der Untergrund bestand aus schluffigem Klei und einer darüber liegenden Lage von Schilfresten (zwischen NN ±0 bis +1 m), die in einen Torf übergingen, der in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr. entstanden war. Dies lässt auf ausgesüßte Bedingungen eines Sietlandes im Schutz höher aufgelandeter Uferwälle der Seemarschen schließen. Infolge zunehmender Salzwasserüberflutungen, welche die Seemarsch überschwemmten und den äußeren Rand des Sietlandes erreichten, lagerten sich Sedimente ab. Auf diesen Anwachsschichten bildete sich eine Seemarsch, auf der die ältesten Hofwurten entstanden.

Die Phragmites Lagen sowie der Torf wurden von Walter Dörfler, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel, pollenanalytisch untersucht.  Der vorhandene Farnsporn, hohe Werte von Gräsern und Sauergräsern und das relativ häufige Auftreten von Symphytum  (Beinwell) deuten auf einen nur mäßig marinen Einfluss hin. Die Gänsefußgewächse zeigen zwar die Nähe der Salzwiesen, doch fehlen typische Vertreter dieser Gesellschaften, Glaux maritima (Milchkraut), Plantago maritima (Strandwegerich) oder Armenia (Grasnelke).

Der Torf bei NN +1,15-1,25 m ist dicht beprobt worden, um Tendenzen in der Vegetationsentwicklung erfassen zu können. Tatsächlich vollzieht sich innerhalb dieses Abschnittes die Ausbreitung der Buche (von 5% auf 15% des Baumpollens) und die Etablierung der Hainbuche in der Region. Beide Ereignisse datieren den Torf in die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Zu dieser Zeit ist der Meereseinfluss sehr gering gewesen, feine Tonbänder im Torf zeugen wahrscheinlich von Überflutungen durch Süßwasser, die als Rückstau von der Küste erklärt werden können. Sichere Hinweise auf eine kaiserzeitliche Besiedlung der Marsch sind aus den relativ geringen Siedlungszeigerwerten im Pollendiagramm nicht abzuleiten. Besonders hoch sind hingegen die Siedlungszeigerwerte in den organischen Auftragsschichten der mittelalterlichen Wurt, die als Siedlungsabfall anzusprechen sind. Bezogen auf die Baumpollenwerte liegen hohe Prozentanteile von Getreidepollen auf der Wurt vor. Die anderen Siedlungszeiger sind zwar deutlich erhöht, erreichen aber nicht solche Extremwerte. Beachtenswert sind daneben die hohen Pollenwerte der oben genannten Vertreter von Salzwiesen, welche die Exposition der Wurt in ihrer frühen Besiedlungsphase erkennen lassen. Daneben treten aber auch Heide- und Moorarten, wie Torfmoos (als Sporen und als Blättchen) und Besenheide auf. Dieses Material muss von außerhalb in die Wurt eingebracht worden sein. Somit dürfte sich der Wirtschaftsraum nicht allein auf die Marsch bezogen haben, sondern zumindest die Moorflächen sind mit genutzt worden, sei es als Baumaterial in Form von Torfsoden mit Besenheide oder als Brennmaterial.

Der 1997 angelegte Ausgrabungsschnitt erfasste eine der aus Kleisoden aufgehöhten Hofwurten (Hofwurt I) einschließlich ihrer Erweiterungsstadien. Die stratigraphischen Abfolge der Wurtschichten lässt drei Siedlungshorizonte erkennen. Eine Datierung der Siedlungshorizonte erlaubt vor allem die nach Schichten geborgene Keramik, die vor allem aus harter Grauware besteht. Ferner konnte der Pfosten (36a) eines auf der älteren Gesamtwurt (SH 2) errichteten Gebäudes in die Jahre um 1138 (+11/-0 Jahre) datiert werden. Somit erfolgte vor 1138, nach einer ersten Durchsicht der Keramik wohl nach 1100,  über  einer abgesodeten Salzwiese, deren Reste sich noch als schwach erkennbare Bodenbildung abzeichnen, die Errichtung der im Durchmesser in nord-südlicher Richtung etwa 15 m breiten Hofwurt I. Der bis 1,5 m mächtige Auftrag bestand aus etwa 10 Lagen regelmäßig übereinander geschichteter, rechteckiger Kleisoden. Die Ränder der Hofwurt fielen flach ab, wie das Nord- und Südprofil vermitteln.

In der Folgezeit wurde die Wurt in schneller zeitlicher Folge durch die Anpackung von Mistschichten und darauf abgepackter Kleiaufträge zu den Rändern hin erweitert. Der Grabungsschnitt erfasste dabei die südlichen Ausbaustadien. Wie das Ostprofil mit seinen abfallenden Wurtschichten erkennen lässt, lag der Kern der Wurt im Westen des Grabungsschnittes.

In der Grabungsfläche kamen Reste zweier Bauten mit Flechtwänden und einbezogenen Rundpfosten zutage, die sich in ihren Ausmaßen nicht rekonstruieren lassen. Das eine Gebäude stand auf der Hofwurt I und wurde im Zuge der Erweiterung dieser Wurt abgerissen . Der andere Rest, ebenfalls eine Flechtwand mit eingearbeitetem Rundpfosten, gehört zu einem auf einem flachen Sodenpodest errichteten Bau, der spätestens im Zuge der Errichtung der Gesamtwurt abgebrochen und mit Kleisoden bedeckt wurde . Bei den übrigen in der Grabungsfläche angeschnittenen Pfostengruben ist nicht immer zu entscheiden, ob sie dem SH 1 (Hofwurt I und erweiterte Hofwurt I) oder dem SH 2 (ältere Gesamtwurt) angehören. Die Mehrzahl dürfte jedoch dem SH 2 zuzuweisen sein.

Während dieser Phase erfolgte ein Ausbau der Einzelwurten zu einer größeren Gesamtwurt. Dabei wurden die Zwischenräume zwischen den einzelnen Hofwurten mit Mist und Klei aufgefüllt. Eingelassene Pfosten in den Profilen zeigen, dass man in dieser Zeit noch nicht Ständerbauten übergegangen war. Die vielen in der kleinen Fläche angeschnittenen Pfosten erschweren jedoch eine Zuordnung zu Gebäuden. Das dendrochronologische Fälldatum eines Pfostens deutet lediglich an, dass diese Bauten um 1138 (+11/-0 Jahre) bestanden haben.

Der Siedlungshorizont 3, zeitlich vom hohen bis späten Mittelalter reichend, umfasst die jüngste flächenhafte Erhöhung der Gesamtwurt bis zu ihrer heutigen Oberfläche.

Von entscheidender Bedeutung für Mensch und Vieh in der Seemarsch war die Regelung der Versorgung mit trinkbarem Wasser. Die Vielzahl der errichteten Anlagen zur Wasserversorgung in Lütjenbüttel zeigt, dass die Brunnen und sodartigen Zisternen vermutlich nur kurze Zeit in Benutzung waren, bevor sie durch neue Anlagen abgelöst wurden. Vermutlich versiegten die älteren Brunnen durch die Ablagerung von Tonen und Sanden oder eine Überflutung der Warft während stärkerer Westwindlagen mit Salzwasser machte das Trinkwasser ungenießbar.

Zwei Typen der Brunnenanlagen können in Lütjenbüttel voneinander unterschieden werden: Am häufigsten wurden Sodenwandbrunnen mit senkrecht übereinander gelegten Soden errichtet, deren Bau vielfach auf hoch- und spätmittelalterlichen Warften überliefert ist und deren Reste im nordfriesischen Wattenmeer vielfach auftreten. 

Daneben finden sich zwei flaschenförmige Sode.  Das Eintiefungsniveau der beiden Anlagen lässt sich nicht genau ermitteln, doch sind diese zweifelsfrei jünger als die Errichtung der Hofwurt I und demnach dem SH 2 oder 3 zuzuweisen. Ihre Errichtung erfolgte demnach nach 1138.  Der Bau flaschenförmiger Sote erfolgte bis in die frühe Neuzeit auf den nordfriesischen Halligen. Die schmale Öffnung ließ sich mit einem Holzdeckel abdecken. Bei Sturmflutgefahr wurden zusätzlich noch Sodenlagen über den Deckel gepackt.

 

Wirtschaft und archäologische Funde  

In den hoch- und spätmittelalterlichen Wurtschichten wurden zahlreiche Scherben von Kugeltöpfen der hart gebrannten Grauware gefunden. Die Gefäße wurden vor Ort hergestellt; Import ließ sich mit Ausnahme einiger Steinzeugscherben und blaugrauer Ware kaum nachweisen. Neben der mittelalterlichen Grauware kamen auch frühneuzeitliche Keramik vor, die aus den Deckschichten der Wurt stammt. Allgemein weist die Keramik in das 12. bis 14. Jahrhundert.

Zusammen mit den Lederstücken und zahlreichen Resten von Holzgeräten, darunter Dauben, Propfen, Keile, Staken und eines Rades umfassen die Funde weitere Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie des Haus- und Hofwerks. Das archäozoologische Fundmaterial beschränkte sich nur auf wenige Knochen, die keine statistische Auswertung zulassen. Wie von anderen Wurten dieser Zeit belegt, wurde vor allem Schaf- und Rinderhaltung betrieben.

Der Deichbau dürfte in einem höheren Maße den sommerlichen Anbau von Getreide erlaubt haben. Dies deutet auch die pollenanalytische Auswertung an, eine Bewertung der paläobotanischen Großreste steht noch aus.

Insgesamt betrachtet vermitteln die archäologischen Funde das Bild einer Bevölkerung, die im wesentlichen ihre Bedarf selber deckte und kaum vom Handel profitierte. Vermutlich bezogen die Bewohner weitere Gegenstände des täglichen Bedarfs von dem nahegelegenen am Geestrand gelegenen Ort Meldorf, wo sie auch ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf dem Markt feilgeboten haben dürften. 

Vergleichen lässt sich Lütjenbüttel mit Norderbusenwurth und der gleichfalls von uns untersuchten Warft Hundorf im nordestlichen Eiderstedt, die im 12. Jahrhundert auf niedriger Seemarsch um NN +3 m hoch mit Klei aufgewarftet, in schneller zeitlicher Folge randlich erweitert und im 14. Jahrhundert um einen Meter erhöht wurde.

 

Literatur:

Dirk Meier, Landschaftsentwicklung und Siedlungsgeschichte des Eiderstedter und Dithmarscher Küstengebietes als Teilregionen des Nordseeküstenraumes. Teil 1: Die Siedlungen; Teil 2: Der Siedlungsraum. Untersuchungen AG Küstenarchäologie des FTZ-Westküste = Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 79 (Bonn 2001), Habelt.

Dirk Meier, Die Nordseeküste. Geschichte einer Landschaft (²Heide 2007), Boyens.

Dirk Meier, Ausgrabungen auf den mittelalterlichen Wurten Norderbusenwurth und Lütjenbüttel in Süderdithmarschen, Schleswig-Holstein. Probleme der Küstenforschung 28, 2003, 277-291.

Dirk Meier, Die Eider. Flusslandschaft und Geschichte (Heide 2016), Boyens.